DEUTSCHE KAMMERPHILHARMONIE BREMEN – DECEMBER 2017

Was für ein schönes Entreé zum großartigen Konzert mit der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen im Herkulessaal der Residenz: Das “Waldweben” aus Richard Wagners “Siegfried” erklang in der sogenannten “Konzertfassung” des Dirigenten Hermann Zumpe, unter dessen Leitung 1901 das Prinzregententheater mit den “Meistersingern” eröffnet wurde. Er verschmilzt die Szene des vor sich hin träumenden Siegfried mit dem Finale des zweiten Aufzugs, wenn ihn der Waldvogel (hier instrumental silbrig schimmernd als Xylophon) zu Brünnhilde führt. Paavo Järvi gelang dabei mit seiner Kammerphilharmonie eine zart schraffierte, in den exquisiten Holzbläser-Soli geradezu märchenhafte Imagination der Szene … Die vierte Symphonie von Johannes Brahms, uraufgeführt 1885 und konzentrierter Gipfel romantischer Symphonik, wurde danach zum Ereignis: Selten hört man derart sanfte Keuschheit in den wie leise Orgelmusik klingenden Holzbläser-Chorälen des “Andante moderato”, soviel herbe Attacke in den Bässen oder im Tutti und ein immer wieder so emphatisch sich aussingendes Melos in den hohen Streichern.
Süddeutsche Zeitung, Klaus Kalchschmid, 17 December 2017

Es war einmal ein Konzertsaal in Hamburg, da trat ein bemerkenswertes Orchester aus Bremen auf – und so gut wie niemand wollte es dort hören, obwohl es schon damals Beachtliches leistete. Dieses unverdiente Trauerspiel im Großen Saal der Musikhalle ­endete schnell. Das war 1994, als kulturelle Basisarbeit es gegen viele Widerstände noch sehr schwer hatte in dieser Stadt. Jetzt, Elbphilharmonie, Großer Saal, die 2017er-Version des gleichen ­Orchesters, das seit einigen Jahren Stammgast in Hamburg ist und im neuen Konzerthaus erstmals mit seinem Künstlerischen Leiter gastierte, und ­natürlich war das Konzert nun verdient voll. Die aktuelle Ironie dieses Kapitels aus der jüngeren hiesigen Musikgeschichte: Nachdem in den vergangenen Wochen sowohl Philharmoniker als auch Symphoniker mit Brahms’ Zweiter ihre Interpretationssichten auf dessen Standard-Repertoire vorstellten und entweder die Tradition betonten oder den ­Effekt, hinterließ ausgerechnet das ­Orchester aus einer anderen Hansestadt mit der Vierten den nachhaltigsten und stärksten Brahmsversteher-Eindruck. Dabei macht Paavo Järvi bei der ­Beschäftigung mit diesem Komponisten letztlich nur dort weiter, wo andere gern schnell die glättende Konvention walten lassen: kleine Besetzung, große Wirkung, knackig geschärfte Kontraste, ein sehr unsentimentales, sehr leidenschaftspralles ­Herangehen an die Materie, und immer eine enorme Transparenz in den Details.
Hamburger Abendblatt, Joachim Mischke, 14 December 2017

Johannes Brahms’ 4. Sinfonie wird von Järvi wiederum dermaßen aus einem Guss geformt, in satz- und am Ende mehr als satzlangen Bögen, dass die Atmosphäre des Waldwebens nicht so weit weg zu sein scheint. Die Strukturen lösen sich so weit im Ganzen auf, von informeller Musik könnte man vor allem im 1. Satz sprechen, wenn es den Begriff gäbe. Järvis Umgang mit Brahms’ Musik ist dabei elegant und leicht. Eine wohltuende Beiläufigkeit begleitet das im Konzertsaal auch in diesen Monaten schon sehr häufig reproduzierte Geschehen. Mit der Kammerphilharmonie Bremen, die er seit 2004 leitet, ist Järvi so vertraut, dass manchmal einladende Gesten ausreichen, um die Dinge in die gewünschte Richtung zu lenken.
Frankfurter Rundschau, Judith von Sternburg, 8 December 2017